Tangled up in Blues - Deutsche Übersetzung

Vielen Dank an Sonja Bernard für diese tolle Übersetzung!!


Tangled up in Blues - Gefangen im Blues


"Hot Press” - The Rock `n' Roll Issue (Anniversary Special No. 3) 1992


Die Rory Gallagher Story - eine sternenübersäte Saga von Musik, Magie, Gewalt, Verzauberung und den Höhen und Tiefen eines langen, gewundenen Weges. Interview von Liam Fay.

Er hatte viel zu leiden. Seine Gesundheit war schlecht. Er hatte ein Alkoholproblem. Seine Beziehungen zu Frauen waren alle wegen seiner Arbeit gestört. Und er hatte eine Menge Ärger mit den Behörden und dem Establishment. Aber er stand zu dem, was er wollte und er setzte die Maßstäbe für das fest, was als die "hard boiled school"des Schreibens" bekannt geworden ist.

Rory Gallagher spricht über seinen großen persönlichen Helden, Dashiell Hammett, aber dabei spricht er in starker Hinsicht von sich selbst. Mit 44 ist Gallagher kein Mann ohne Bedauern. "Ich war mehr auf Tour als jeder andere Künstler in Europa", sagt er betrübt, "ich habe mehr getourt als gut für mich war. Es blieb leider keine Zeit für vieles andere. Du baust kein Familienleben auf oder so was, und das macht all deine Beziehungen sehr schwierig. Es fehlt immer ein bestimmter Prozentsatz von deinem Leben. Als Mensch hast du nur so und so viel zu geben, nicht nur was deinen physischen Körper angeht, sondern wie du mit Leuten umgehst."

Es ist allerdings Rorys Körper, der die deutlich sichtbaren Zeichen trägt. Nicht mehr der schlanke Typ mit der Gitarre von einst, trägt er heutzutage gerne dunkle Sonnenbrillen, nicht aus modischen Gründen, sondern weil jegliches Licht seinen Augen weh tut. Im Laufe der Jahre hat er auch entwickelt, was er als "Lumpensack" von Neurosen bezeichnet. Z.B. ist er ein besessener Geraderichter von Bildern geworden und kann es nicht in einem Raum aushalten, wo Bilder auch nur ein kleines bisschen schief hängen.

"Der Blues ist schlecht für die Gesundheit", sagt er achselzuckend. "Es ist ganz einfach. Schau die Liste an - Jimmy Reed war Epileptiker, Howlin' Wolf endete an der Dialyse, die meisten anderen Größen waren Alkoholiker. Muddy Waters war einer der Wenigen, die das unter Kontrolle bekamen. Leute wie Skip James schafften das nie. Und als Howlin' Wolf an der Dialyse hing und mit dem Trinken aufhörte, beeinträchtigte das seine Performance, merkwürdig genug. So sind trinken und der Blues eng verbunden, eines nährt das andere. Das geht mit dem Bereich einher."

Rory ist jetzt in Fahrt. Wir sitzen in einem seiner Londoner Lieblingslokale, einer kleinen Weinbar in Chelsea, wo die Serviererinnen ihren berühmtesten Stammgast mit mütterlichem und beschützerischem Gehabe umschwirren, sie leiten Telefonnachrichten für ihn weiter und spielen seine Lieblingskassetten. Rory trinkt abwechselnd einen Schluck Cappuccino oder Weißwein, und reibt sich vergnügt die Hände, wenn er von Leuten wie Muddy Waters, Howlin' Wolf und Jimmy Reed spricht.

"Es ist ein altes Klischee, aber ich bin noch am Leben und atme den Blues", bekennt er. "Ich bin noch immer davon fasziniert und ebenso von den Leuten, die ihn machen. Er ist mein Leben. Sogar, wenn ich nicht auf Tour bin oder schreibe, höre ich ihn die ganze Zeit. Ich schaue nicht fern. Vielleicht ein bisschen Tennis, Boxen oder Fußball, aber seit die Tories die letzte Wahl gewonnen haben, habe ich mit dem Fernsehen aufgehört. Die einzigen Zeitungen, die ich lese, sind die irischen Sonntagszeitungen, damit ich auf dem laufenden bin, was im Hauptland passiert (lacht). Ich mag auch noch Thriller, Hammett, Chandler, Patricia Highsmith. Aber abgesehen davon ist Musik alles, womit ich mich befasse.

Er ist viel zu bescheiden, um es jemals zu sagen oder auch nur daran zu denken, aber Rory Gallagher ist jetzt selbst einer der größten Bluesmusiker aller Zeiten. Seine Popularität ist weltweit und die Wertschätzung und sogar Ehrfurcht, die ihm die meisten seiner Kollegen entgegenbringen, steht außer Frage. Von Muddy Waters über die Rolling Stones bis zu Jerry Lee Lewis hat er auch die persönliche Druckerlaubnis der meisten wahren Rocklegenden bekommen.
Es ist auch wert zu erwähnen, dass - wie die Iren sagen - Rory Gallaghers Beitrag gewaltig ist. Lange vor Thin Lizzy, U2, Sinead O'Connor u.a., von denen man je gehört hat, ebnete Gallagher den Weg zu internationalen Märkten und setzte Irland auf die Weltkarte der Musik. Er war ganz einfach der allererste irische Rockstar.

Rory Gallagher wurde am 2. März 1948 geboren und eigentlich auf den Namen Liam Gallagher getauft, aber unverzeihlicherweise beschloss er schon früh, diesen wunderbaren Vornamen zugunsten des weit banaleren ‚Rory' aufzugeben. "Es gab keinen Heiligen namens Rory, und mir gefiel der Gedanke, nicht den Namen eines Heiligen zu haben. Jedenfalls glaube ich, meiner Mutter gefiel ‚Rory' besser als ‚Liam'", sagt er in fadenscheiniger Selbstverteidigung.
Er wuchs in West Cork auf und war seit frühester Jugend von Musik bezaubert, besonders von der traditionellen Musik, die seine Eltern und Freunde am Wochenende in Gallaghers Haus zu spielen pflegten. Mit neun Jahren schaffte er sich seine erste Akustikgitarre an, und zu dieser Zeit entwickelte er auch seine lebenslange Vorliebe für das Drehen an Radioknöpfen.

"Wir hatten keinen Plattenspieler, als ich klein war", erinnert er sich. "So verbrachte ich viel Zeit damit, Radio Luxembourg, BBC und AFN (Armed Forces Network) aus Deutschland zu hören. Der erste Elektrik-Blues, den ich hörte, war Muddy Waters auf AFN. Es war spät in der Nacht und die Übertragung war sehr klar. Er spielte Slide auf einer Telecaster und das beeindruckte mich tief. Am folgenden Wochenende ging ich in die Bücherei in Cork und holte mir Bücher über die Entstehung des Blues. Dann befasste ich mich mit Lonnie Donnegan, Leadbelly und Big Bill Broonzy. Dann Chuck Berry, Eddie Cochran und anderen Rock `n' Rollern. Je mehr ich hörte, desto mehr fesselte es mich."

Nachdem er etliche Jahre auf Tourneen in Irland und England mit der Fontana Showband (auch bekannt als Impact), wo sie Jim Reeves Covers spielten, verbracht hatte, gründete Rory Gallagher 1966 seine eigene Band. Sie hatten viele Fehlversuche und Rückschläge - die Tatsache, dass sie ein Blues-Trio auf Gitarrenbasis waren, machte sie für die meisten Clubbetreiber recht unattraktiv, diese bevorzugten eher vierköpfige ‚Beat'-Combos - aber die Gruppe etablierte sich doch, und nach unzähligen Namensänderungen blieben sie bei ‚Taste'.

Mit Richard "Charlie" McCracken am Bass und John Wilson am Schlagzeug spielte Taste ausgedehnt in Europa und erwarb schnell legendären Ruhm als die am härtesten arbeitende Bluesband. Albums wie "Taste" (69), "On The Boards (70), "Live" (70) und der posthume Klassiker "Live At The Isle Of Wight” (71) brachten ihnen immensen Beifall, wobei Rorys aufwühlender Sound bereits als einer der charakteristischsten des Rock bezeichnet wurde.

Vor der Kulisse des Todes von Jimi Hendrix und Eric Claptons fortschreitendem Abstieg zur Parodie schien Gallagher perfekt zum aufsteigenden internationalen Gitarrenhelden bestimmt zu sein. Leider führten ernste Managementprobleme und die Erkenntnis, dass sie von vielen Beteiligten gnadenlos ausgenutzt worden waren, zu einer verfrühten Auflösung von Taste im Oktober 1970.

Rory Gallagher ist nicht geneigt, sich über etwas auszulassen, was er eine "alte Geschichte" nennt, aber sein Ärger ist noch spürbar, wenn er sich in Erinnerung ruft, wie unbarmherzig er in den Taste-Tagen ausgebeutet worden ist.
"Ja, ich bin sehr ärgerlich über all das", sagt er. "Ich denke nicht gern daran, weil es mich aufregt. Ich glaube immer, was ich tun sollte, wäre "Outlaw"-Musik. Ich hatte komischerweise immer eine Punk-Haltung. Ich denke, all die besten Künstler bewegen sich außerhalb des Systems, daher hat es mich nie interessiert, allwissend und in finanziellen Dingen bewandert zu sein. Aber offensichtlich habe ich das zu sehr ignoriert und den Leuten erlaubt, mich auszunutzen.

"Ich will nicht daran kaputtgehen. Ich bin nicht missgünstig, und einige der Beteiligten sind auch schon seither gestorben (Pause). Aber, im Gegensatz zur landläufigen Meinung, habe ich nie einen Penny an Taste verdient. Es laufen seither bis heuer gerichtliche Sachen, daher hat mich das sogar Geld gekostet. Das Ganze hat mich sehr misstrauisch gegen Leute aus dem Musikbusiness gemacht. Ich schere mich keinen Deut um das Geld. Die Leute, die mich hintergangen haben, das ist das, was mir was ausmacht.
Das ist fix. Während des größten Teils seiner Solokarriere wurde Rory Gallagher von seinem jüngeren Bruder Donal gemanagt. "Er ist ein vorzüglicher Charakter, eine Gabe Gottes", sagt Rory. "Ich glaube nicht, dass ich so lange dabei geblieben wäre, wenn nicht wegen Donal. Ich bin so misstrauisch gegen Leute, und ich glaube nicht, dass ein anderer Manager mit meinen Marotten zurechtgekommen wäre. Nicht, dass ich schwierig bin - ich finde mich selbst leicht zu verstehen (lacht) - aber die geschäftliche Seite, verstehst du, stört mich richtig. Ich würde gerne nach Irland zurückgehen. Es wäre großartig, in Dublin zu leben und das ganze Geschäftszeug in London leer laufen zu lassen.
Was ist mit dem oft angeregten Plan auf Wiedervereinigung der Taste?

"Nun, ich habe mit den Leuten wieder eine freundschaftliche Atmosphäre aufgebaut", sagt Rory. "Sie wollen eine Neugründung, aber ich weiß nicht. Ich glaube nicht, dass Taste etwas Wiederholbares ist. Ich gehe nicht gern zurück. Ich möchte vorwärts gehen und mich entwickeln."

Während der frühen Siebziger brachten Rorys häufige Fahrten nach Amerika, verbunden mit seinem rasch anwachsenden Ruf ihn in Kontakt mit den Blues-Pionieren, mit deren Musik er aufgewachsen war. Leute wie Freddie King, Howlin' Wolf, Albert King und natürlich Muddy Waters.

In den kleinen verrauchten Clubs auf dem ganzen Kontinent saß er und sah seinen Helden beim Spielen zu, gelegentlich wurde er sogar zu einer Jamsession auf die Bühne gerufen. Auf diese Art knüpfte er Kontakte, die dazu führten, dass man ihn aufforderte, bei Muddy Waters historischen "London Sessions" neben solchen Größen wie Stevie Winwood, Georgie Fame and Mitch Mitchell 1972 mitzuspielen. Die bloße Erwähnung jener Zeit reicht, um Rorys Gesicht aufzuhellen.

"Es war eine richtige Ehre", erinnert er sich lächelnd. "Alles ist in meinem Gedächtnis wie ein Video eingegraben. Ich kann es jederzeit in meinem Kopf ablaufen lassen. Ich wünschte nur, ich könnte meine Erfahrungen jetzt wiederholen, weil Muddy mich sehr viel während dieser Sessions lehrte, ich kam als viel besserer Spieler heraus, als wie ich hineingegangen war.
"Ich musste abends Gigs in verschiedenen Teilen des Landes spielen, und nachher nach London zu diesen Aufnahmen fahren, und sie warteten mit den Sessions, bis ich kam. So hörte ich, sagen wir mal, in Birmingham um 22.30 auf, dann sprang ich ins Auto und fuhr wie der Teufel, um möglichst rasch hinzukommen. Muddy gab mir ein Glas Rotwein, wenn ich kam, und wir begannen um Mitternacht oder 1 Uhr zu spielen, das ist meine Tageszeit. Ihm nur beim Gitarrestimmen oder so was wie "Walkin' Blues" zuzuschauen, war wunderbar für mich. Und das Tolle an dem Album war, dass es nicht einfach ein Andenken an eine schwarze "Legende" mit einer Menge Europäer war. Er hatte auch seine eigenen Musiker. Er hatte Carey Bell an der Harp, und Sammy Lowe, der kürzlich verstarb -ruhe er in Frieden - an der Gitarre. Das waren magische Nächte.
Muddy Waters war ein starker Charakter", fährt Rory fort. "Er war immer sehr höflich, aber er konnte sehr bestimmt werden, wenn er etwas nicht mochte. Er konnte das mit einem Fingerschnippen, ohne eine Auseinandersetzung und ohne die Stimmung zu stören. Er sagte nur ganz ruhig zum Drummer "heb das ein bisschen hervor", und es geschah.
Er hatte eine liebenswürdige, Buddha-artige Haltung, eine große Autorität. Du wusstest, er hatte das Sagen, aber man konnte ihm auch Vorschläge machen. Georgie Fame schlug ein paar Sachen vor, und auch ich, und er hörte immer zu. Das war in den frühen Siebzigern, und er hatte noch ein paar Jahre zu leben, aber es war nach dem Unfall, und seinem Rücken ging es schlecht. Er hatte oft große Schmerzen, aber er wurde nie ungut. Das war überhaupt nicht seine Art."

Bis zum heutigen Tag misst Rory jenen Sessions eine wichtige Bedeutung zu.

"Nach den Aufnahmen fuhr ich ihn ein paar Mal in sein Hotel zurück", erzählt er. "Ich halte seither das Auto wie einen Schrein, weil Muddy darin gesessen ist. Es ist ein alter Ford Executive, ein richtiges Hawaii 5-0 Auto mit Stars and Stripes an der Seite, und es thront vor unserem Haus in Cork. Es fällt schon auseinander, aber ich weigere mich, es verschrotten zu lassen oder so. Ich kann Muddy noch sehen, wie er auf dem Vordersitz sitzt und diese Zigarren mit der großen Plastikspitze raucht.
Ich wünschte nur, ich hätte eine Super-8-Camera, um all das aufzuzeichnen. Ich weiß, dass einer von den Typen aus Chicago ein paar Schnappschüsse gemacht hat, und ich hätte gerne welche für meine Enkel, falls ich je welche haben werde. Es ist eine wunderbare Erinnerung für mich."
Während der Siebziger waren Rorys Dienste als Gitarrist sehr gefragt. Er spielte auf einem weitgefächerten Bereich von zukunftsträchtigen Blues-Alben aus den Siebzigern mit, dabei waren Mike Vernons -"Bring It Back Home", Lonnie Donnegans "Puttin' On The Style" und Mike Batts "Tarot Suite". 1973 erschien er auch unter anderem neben Peter Frampton auf Jerry Lee Lewis berüchtigten "London Sessions".

Rory denkt an diese Aufnahmen nicht mit derselben Wärme wie an die Sessions mit Muddy Waters, aber er sagt, er fand es spannend, in nächster Nähe zu so einem sprunghaften Charakter wie dem Killer zu arbeiten.
"Es war eine merkwürdige Atmosphäre von Gewalt und Verrücktheit im Raum, wenn Jerry Lee da war", sagt er. "Wenn ihn jemand ärgerte, zog er unverzüglich sein linkes Hosenbein hoch und griff zu seinem Socken, als ob er eine Pistole darin hätte. Ich habe ihn im Studio tatsächlich nie mit einer Waffe gesehen, aber wenn er eine gehabt hätte, bin ich sicher, dass er jemand erschossen hätte. Es war immer eine Gefahrenzone um ihn herum, ich denke das ist notwendig für richtigen Rock `n' Roll."
Ungefähr ein Jahr nach Erscheinen der "London Sessions", waren Rory und ein paar Freunde zu einem speziellen Jerry Lee Lewis Show-Gig im Roxy-Club in Los Angeles eingeladen. Das Konzert begann recht ruhig, und das Publikum fing wirklich an mitzugehen, als niemand anderer als John Lennon hereinkam.

"Lennon befand sich gerade in seiner LA-Phase, und sein Haar war wirklich kurz, aber jeder erkannte ihn, und alle drehten sich zu ihm um, als er auf einem Balkonsitz Platz nahm", erinnert Rory sich. "Es erübrigt sich zu sagen, dass das Jerry wild machte. Er fing mit dem "Jerry Lee Rag" an, aber noch immer guckte jeder zu Lennon hinauf und flüsterte. Plötzlich hörte Jerry Lee auf und fing an, die Beatles seien Scheiße, die Stones seien Scheiße, und niemand könne richtigen Rock `n' Roll so wie Jerry Lee spielen. Das gefiel Lennon. Er hatte seinen Stiefel auf der Balkonbrüstung und feuerte Jerry Lee an, wobei er schrie (er ahmt überzeugend Lennons Stimme nach) ‚Ja, Mann, du hast recht, die Beatles sind Scheiße!' Die Leute fingen an zu lachen, aber Jerry Lee dachte, Lennon würde ihn beschimpfen und flippte völlig aus. Er stieß das Piano quer über die Bühne und stürmte hinaus."

Die Atmosphäre im Roxy war verständlicherweise gespannt. Die meisten Leute gingen, weil sie Angst hatten, Jerry Lee würde mit einer seiner Waffen, von der man wusste, dass er sie immer bei sich hatte, zurückkommen. Andere blieben da, weil sie hofften, Zeuge eben eines solchen Ereignisses zu werden. Zufällig hatte Rory Gallagher einen Backstage-Pass und er wollte in Jerry Lees Garderobe, um zu versuchen, ihn zu beruhigen und aufzuheitern. Rorys Bruder und Manager Donal warnte ihn davor, und argumentiert, dass er sein Leben riskieren würde, wenn er die Höhle des furchterweckenden Löwen jetzt betreten würde. An diesem heiklen Punkt trat Tom O'Driscoll ein.
O'Driscoll ist ein Klotz von einem Mann aus Scull, County Cork. Von Beruf Fischer, fungierte er fast zwei Jahrzehnte lang als Rorys inoffizieller Bodyguard, und fährt auch heute noch meistens mit ihm. Donal war einverstanden, dass Rory backstage gehen konnte, wenn O'Driscoll mitginge. "Ich hatte gar nicht solche Angst vor Jerry Lee, weil ich bei den Sessions mit ihm gearbeitet hatte", sagt Rory. "Aber jeder sonst fürchtete sich offenbar sehr, denn es war sonst niemand in der Garderobe, als Tom und ich reinkamen."

Es bedurfte bemerkenswerter Diplomatie und Takts von Seiten Gallaghers, aber schrittweise brachte er Jerry Lee aus seiner schlechten Laune heraus. "Wir kamen zu dem Punkt, wo wir einfach quatschten, Erinnerungen an die Sessions und sowas, denkt Rory zurück. "Auf einmal ging die Tür auf und Lennon kam rein. Es war ein paar Sekunden totenstill. Ich starrte Jerry Lee an, um zu sehen, wie er reagieren würde. Aber Tom O'Driscoll konnte nicht widerstehen. Er war ein großer Beatlesfan, und er ging zu Lennon, fiel auf seine Knie, küsste seine Hand und sagte: ‚Ich habe zwanzig Jahre gewartet, um ein Autogramm vom König des Rock `n' Roll zu kriegen.'

Natürlich machte das Jerry Lee völlig verrückt. Er griff nach seinem Socken, weil er dachte, er habe eine Waffe darin, und er sah sich nach etwas um, womit er werfen oder was er kaputtmachen könnte. Lennon sah das, daher signierte er schnell Toms Papier, und dann, um die Situation zu entschärfen, nahm er einen Stift und ein anderes Blatt Papier von Tom und ging durch den Raum zu Jerry Lee. Er tat genau das, was Tom bei ihm gemacht hatte. Er kniete nieder, küsste Jerry Lees Hand und sagte: ‚Ich habe zwanzig Jahre gewartet, um ein Autogramm vom wahren König des Rock `n' Roll zu bekommen.' Jerry Lee war erfreut. Er gab seine Unterschrift, sie begannen sich zu unterhalten, und alles war in Ordnung. Es war ein wunderbarer Augenblick."
Obwohl er eine Reihe von Geschichten kennt, die ebenso erwähnenswert sind wie diese, ist Rory Gallagher niemand, der Namen leicht fallen lässt. Manchmal müsste man die Erinnerungen mit einem Brecheisen aus ihm herausholen. Z.B. ist er besonders zurückhaltend, wenn es um die Zeit geht, wo er fast ein Vollmitglied bei den Rolling Stones geworden wäre. Als ich danach frage, zuckt er nur die Schultern und zeigt mir ein "wohl-nichts-gewesen-Grinsen".

"Na ja, das war, bevor Ronnie Wood dazukam, da hörten sie eine Menge Musiker an", gibt er zu. Ich machte ein bisschen mit ihnen, Mick Jagger mochte mich wohl und wollte, dass ich mitmachte. Aber Keith Richard war damals ziemlich schlecht drauf, so war ich nicht sicher, ob sie es überhaupt zustandebringen würden. Das war alles sehr unsicher. Dann hatte ich einige Gigs in Japan vor mir, so reiste ich ab, und das war das Letzte, was ich hörte. Es sollte eben nicht sein, denke ich."
Rory untertreibt auch das Zusammentreffen mit einer anderen Rock-Legende, das nach einem Gig im Shrine-Auditorium in LA Ende 1978 stattfand. Gallagher hatte eine rasante Show gespielt und das Publikum war begeistert. Leider holten ihn der Jet-Lag und die Strapazen der Tournee ein, und er war zu erschöpft für irgendein Treffen oder so nach der Show. Weil er das wusste, baute sich Donal vor Rorys Garderobe auf und schickte alle Besucher weg.

Die meisten Gratulanten verstanden die Situation und gingen ohne weiteres, aber ein merkwürdig aussehender Typ mit wirrem Haar und einer Narbe im Gesicht wollte Rory unbedingt sprechen und ein Nein nicht akzeptieren. Als er zu aufdringlich wurde, wurde Donal bestimmter und sagte ihm unmissverständlich, dass Rory alleine sein wolle.

Schließlich gab der übereifrige Fan auf und schickte sich zum Gehen an, aber nicht, ohne Donal mitgeteilt zu haben, er sei selbst Musiker, und er sei beeindruckt von Donals Entschlossenheit und Hingabe, mit welcher er ‚nach dem Mann schaue'. Erst ein paar Minuten später bedeutete jemand Donal, dass die Person, die er soeben verjagt hatte, Bob Dylan gewesen sei.

"Das versetzte den guten alten Donal in Panik, weil er wusste, dass sich ein großer Dylan-Fan bin", lacht Rory. "Daher lief er ihm nach und schaute überall nach dem Kerl mit der Narbe. Er fand ihn endlich und schüttelte seine Hand. Er schnappte ihn buchstäblich und schleppte ihn zur Garderobe zurück. Dylan war sehr nett. Er sagte, ihm habe die Show und alles gefallen und wir sprachen ein bisschen über den Blues und so. Normalerweise hauen mich Stars nicht so um, aber es war wirklich großartig, Dylan zu treffen. Er ist einer meiner Dauer-Helden."

Wenn man all die Gelegenheiten, wo Rory Gallagher mit jemand zusammengearbeitet hat, betrachtet. mutet es seltsam an, dass er nie mit dem anderen Titanen des Irischen Rock, Van Morrison, zusammengespielt hat. Es sieht so aus, als hätten sie bei zumindest einer Gelegenheit zusammen etwas aufnehmen sollen, als Morrison 1978 sein Album "Wavelenghts" machte.

Ein Tag wurde festgesetzt, das Studio war gebucht, Rory erschien zur ausgemachten Zeit dort. Leider wurde Van Morrison seinem Ruf, sagen wir mal unvorhersehbar zu sein, gerecht. Während Gallagher und die anderen Musiker im Studio warteten und Pool spielten, um die Zeit zu überbrücken, huschte Van Morrison eine Weile nervös in den Räumen umher und verschwand dann ganz. Als der Abend und schließlich die Nacht herankamen, war er immer noch völlig unauffindbar, und die Session wurde in den frühen Morgenstunden abgesagt.

"Wir wollen das nicht breittreten," sagt Rory mit seinem üblichen Takt. "Wir wollen mal sagen, man ließ mich warten und ich ging. Wir sind immer noch ganz gute Freunde und verstehen uns, wenn wir uns treffen. Er ist älter als ich, nicht, dass das wichtig ist, aber wenn wir arbeiten, kann das nicht die ganze Zeit nach Vans Bedingungen gehen. Ich war immer stolz darauf, dass, wenn mich jemand bucht und gewisse Dinge erwartet, ich pünktlich erscheine und tue, was man wünscht. Das ist ein Prinzip. Ich hätte gerne bei "Wavelengths" mitgemacht, weil Dr. John das produzierte, und das hätte sehr gut sein können, aber Van und ich, das ist wie das Zusammenströmen von Flüssen, manchmal müssen wir zusammenarbeiten. Vielleicht kommen wir bald zusammen, wenn er dies liest, aber nicht zu Vans Bedingungen."

Wie Rory Gallagher sagt, ist Blues spielen wahrscheinlich gefährlich für die Gesundheit, aber wenn man ihn nach drei Jahrzehnten Weltreisen fragt, wo der gefährlichste Ort ist, dann wird er ohne Zögern antworten: "Auf der Bühne! Bei etlichen Anlässen wäre ich fast gestorben. Ich bin so oft nahe dran vorbeigegangen, gerade in den frühen Jahren, dass ich davon ziemlich nervös geworden bin."

Es gab z.B. in den frühen Siebzigern einen Gig in Turin, Italien, wo Rory von der Bühne fiel, und das Publikum applaudierte, weil es dachte, das gehöre zur Vorführung.

"Auf der linken Seite der Bühne war eine tiefe Grube, die ich nicht sah," erinnert er sich schaudernd. "Sie diente offenbar dazu, Sachen heraufzuholen und so, aber ich habe sie nicht bemerkt. Ich rannte über die Bühne, als ich plötzlich merkte, wie ich fiel. Ich streckte die Hände aus, um mich zu halten und ergriff eine Metallstange von der ich wie Tarzan schwang. Meine Gitarre bekam natürlich ein Feedback, und auf einmal merkte ich, wie die Menge klatschte. Sie wurden wild. Sie mochten es. Und dabei war ich in ernster Lebensgefahr! Endlich, nach einigen Minuten, schloss ich meine Augen und schwang mich wieder auf die Bühne. Sogleich bekam ich nochmal Applaus. Ich lief über die Bühne und spielte wieder ein paar Noten (lacht). Ich bekam tolle Kritiken, großes Lob für meine ‚akrobatische' Vorführung."

Dann war da der Gig in Nottingham in den frühen Siebzigern, als die Bühne gestürmt wurde. Sogleich trat der unerschrockene Tom O'Driscoll in Aktion und trieb die Invasoren in die Menge zurück. In dem Durcheinander jedoch warf er auch den Star der Show samt seiner Gitarre von der Bühne hinein in die wogende Menge.

"Das war vielleicht ein Sturzflug von der Bühne, kann ich euch sagen", meint Rory. "Es war einer von Toms ersten Gigs mit mir, und das war eine richtige Feuertaufe für ihn. Die Menge tobte, aber ich landete mitten darin auf meinen Füßen und spielte ein paar Griffe, und kletterte zurück auf die Bühne, bevor irgendwer wusste, was los war. Merkwürdig - aber Tom O'Driscoll arbeitet immer noch für mich" (lacht).
Ein weit ernsterer Vorfall ereignete sich etwas später beim Gig im Fußballstadium von Athen, Griechenland, wo Rory und seine Band in einen Massentumult gerieten.

"Es war nach dem griechischen Umsturz und die ersten freien Wahlen seit einiger Zeit standen bevor", erklärt er. "Kurz nach Beginn der Show sah ich überall diese Flammen weit hinter im Stadion. Sie brannten Restaurants und Geschäfte nieder. Ich glaube, man wollte nicht genug Leute ins Stadion lassen oder man ließ zu viele rein, jedenfalls kam die Polizei und begann, CS-Gas auf uns zu sprühen. Das war der Gig, der mir am meisten Angst gemacht hat. Das CS-Gas ist gefährliches Zeug. Es beeinträchtigt deine Augen und du siehst nicht, wohin du gehst oder sonst was.

Als wir endlich hinter der Bühne waren, herrschte so ein Durcheinander, dass wir nicht wussten, wer uns schützen und wer uns vielleicht angreifen würde. Da gab's diese paramilitärischen Burschen, die sehr furchterweckend aussahen. So sprangen wir einfach in ein Auto und versuchten, zum Hotel zurückzukommen. Dabei ging uns unterwegs das Benzin aus und wir mussten zu Fuß gehen. Da war soviel los, es war ein Alptraum. Wir waren klatschnass, unsere Augen tränten und wir zitterten buchstäblich. Übrigens war der Gig selbst großartig. Aber es war sehr beängstigend. Ich wollte nicht in einem Fußballstadion in Griechenland sterben und nicht mal wissen, was los war."

Auf einer mehr alltäglichen aber ebenso gefährlichen Ebene war die größte Bedrohung für die Sicherheit von Musikern - besonders während der Sechziger und Siebziger die dauernde schlampige Verkabelung auf der Bühne.

"Ich kannte Les Harvey, Alex Harveys Bruder, und er wurde durch schlechte Verkabelung getötet", erzählt Rory. "Das hinterließ einen furchtbaren Eindruck bei mir. Es ist so ein dummer, sinnloser Tod. Wenn du sterben sollst, dann in einer Revolution oder so. Lass dich erschießen für etwas, das es wert ist, aber stirb nicht durch einen Stromschlag. Mich macht all das sehr nervös. Ich habe öfter selbst einen Schlag abbekommen. Am schlimmsten war es in einem Studio in Cork mit der Showband, am Anfang, und ich  flog fast bis an die Decke. Es braucht ziemlich lange, bis man so was überwunden hat. Ich glaube, man vergisst es nie ganz."

Natürlich ist das, was Leuten wie Rory Kraft gibt, die guten Gigs, die Shows, wo alles klappt und die Person auf der Bühne buchstäblich nichts falsch machen kann.

"Ich habe so viele Lieblingsgigs", schwärmt er. "Einer der besten war eine Show in Belfast 1973. Es war auf dem Höhepunkt der Unruhen, und wir wussten nicht, wie es ausgehen würde. Es war viel los auf den Straßen und drinnen war die Atmosphäre elektrisch, es war eine Nacht so auf die Art "We shall overcome". Bei allem Respekt, den wir für das Publikum in Dublin, Cork, Limerick und Galway hatten, war es doch etwas Spezielles bei den Leuten in Belfast an jenem Abend. Ein Gig in Cork 1974, wo wir das meiste für die "Irish Tour" aufnahmen, war auch fantastisch. Ich erinnere mich auch an Hamburg ... Ich höre mich wahrscheinlich an wie Marlene Dietrich, aber es gab da einige wirklich große Momente. Angenehme Erinnerungen."

Der letzte Cappuccino, den Rory eine Stunde zuvor bestellt hat, steht unberührt auf dem Tisch, kalt und dicklich. Der Weißwein hingegen fließt in Strömen. Rory wird ein bisschen sentimental, lässt sich über seine beiden Obsessionen, Irland und den Blues aus, und wie viel ihm beides bedeutet.

Er gibt auch zu, dass er soeben besonderes Heimweh hat. Eine kürzliche Aufnahme in London mit seinen alten Freunden, den Dubliners (die Gitarre, Akkordeon und Gesang zu einigen Tracks auf seinem bald erscheinenden Jubiläumsalbum beisteuerten) hat nur seine Sehnsucht nach den alten Kameraden erhöht.

"Ich freute mich, als ich Ronnie und die Burschen wiedergetroffen habe", sagt er, "ich hatte für die Dubliners immer viel übrig, seit ich sie in den Sechzigern zum ersten Mal gesehen habe. Wir spielten eine Show mit Dickie Rock und der Miami Showband im Savoy in Cork. Und weil wir weit unten auf dem Plakat standen, durften wir uns noch nicht mal in der Garderobe umziehen. So zogen wir uns draußen in der Halle um, als die Tür aufging - die Dubliners waren an zweiter Stelle auf dem Plakat, und so hatten sie einen Raum für sich - und er sagte ‚Kommt rein, ihr könnt unseren Raum mitbenützen.'' Luke war da, Ciaran Burke und der ganze Rest, und sie waren sehr nett. Es war eine kleine Geste, aber ich werde es nie vergessen. Daher war ich erfreut, sie diese Woche wieder zu sehen und mit ihnen zu spielen. Und sie sind immer noch nette Kerle. Ronnie schenkte mir ein Buch mit Kurzgeschichten, es heißt, "Das irische Gutenacht-Buch", und das ganze macht mich wirklich krank vor Heimweh.

Ich würde gerne zurückgehen, wenn ich mich hier soweit organisieren kann", fügt er hinzu, "wenn ich das schaffe, gehe ich zurück. Ich denke dauernd an Irland. Ich höre abends meistens RTE auf meinem kleinen Gerät, einer Drum-Maschine mit Radio-Kassette, die ich überall hin mitnehme. In Europa kann man RTE bis München hören. Einmal war ich während der Wahlen in Paris, und es war toll, John Bowman im Radio zu hören. So wie ich auch irische Zeitungen kaufe, besonders die Sonntagsausgabe - erzähl das Liam Mackey. Ich lese seine Fußballkolumne in der Sunday Press und ich stimme nicht mit ihm überein (lacht).

Ich versuche auch, mich über die irischen Platten auf dem laufenden zu halten. Ich habe gerade die neuen Alben von Sharon Shannon und Maire Ní Braonain bekommen. Das ist alles sehr wichtig für mich. Ich möchte wirklich gerne zurück. Das könnte mir gut tun. Ich habe ein oder zwei Freunde in Irland, und ich würde auch ganz gerne nach Donegal gehen, um mein altes Hirn zu sortieren. Das ist das, was ich im Moment wahrscheinlich brauche."

Inzwischen scheint Rory Gallaghers Profil als Künstler in den nächsten Monaten noch einen oder zwei Gänge hinaufzuschalten. Diese Woche z.B. wird ‚Edged in Blue' erscheinen, ein Rückblick mit 11 Titeln von Rorys eigenen Lieblingsliedern aus seinem Hintergrundverzeichnis. Später ist heuer eine Box mit Bootlegmaterial geplant. ("Neben Dylan und den Stones habe ich das Privileg, dass ich der Künstler in Westeuropa bin, von dem es die meisten Bootlegs gibt", sagt Rory). Momentan spielt er auch mit der Idee, einige neue Musiker anzuwerben, um seinem nächsten Studioalbum, von dem er inständig hofft, das es in den nächsten Monaten aufgenommen wird, einen frischeren Sound zu verleihen. Von überallher kommen auch Tourangebote, von Moskau bis New York, und - nicht ganz überraschend - auch einer der seltenen und willkommenen Auftritte in Dublin.

Aber das ist noch alles in der Zukunft. Jetzt leeren wir gerade unsere Gläser, und zum Abschied frage ich Rory, warum er nicht sein Markenzeichen, das Holzfällerhemd, trägt. Merkwürdig, es war eine nebensächliche Frage, die ihn jetzt mehr als alles andere betroffen zu machen scheint.
"Momentan kann ich das einfach nicht tragen, um ehrlich zu sein", antwortet er mit Bedauern. "Ich weiß, es ist eigen, aber es ist eine psychologische Sache. Diese Denim-Jacke und das Karohemd sind wie ein Stigma für mich geworden. Ich habe sie nie als Uniform betrachtet, aber im Verlauf der Jahre ist eine daraus geworden. Eine Uniform, die ich einfach nicht mehr tragen will. In letzter Zeit trage ich ein gewöhnliches schwarzes Hemd und eine gewöhnliche schwarze Jacke, wenn ich auftrete. Im Moment fühle ich mich viel besser in Schwarz."