Goodtimes: Interview 92

Entnommen aus der Zeitschrift "Good Times", Ausgabe 2/93,
verfasst von Uli Twelker.

Herzlichen Dank an Peter Seeger und Uli Twelker,
diesen Artikel hier veröffentlichen zu dürfen!



Rory Gallagher im Gespräch mit Uli Twelker
am 13. Dezember 1992



"Secret Agent"
Rory in Deutschlands (Noch-) Hauptstadt der Spione: Bonn

Schon oft ist kolportiert worden, daß vielen gestandenen Rock-Stars, besonders solche, die (zu) oft die Highways und Hallen Amerikas durchreist haben, die namentliche Stadt weder bekannt ist noch kümmert: Ihr wißt schon, "Hallo Dallas" und die Band befindet sich längst in Denver! Nichts dergleichen im Falle Rory Gallaghers, der mit seinem gut abgehangenen, aber immer noch aufregenden Blues-Rock und neuer Band kürzlich eine willkommene German Tour absolvierte.
Ausgelaugt durch eine lange Autofahrt, (noch) ohne etwas vernünftiges im Magen, bat er uns dennoch in seine Hotel-Suite mit direktem Rheinblick. Weder Bodyguards noch Stargehabe waren in Sichtweite. Und, Ihr habt es erraten, er wußte verdammt genau, daß er unsere (zur Zeit noch bestehende) Bundeshauptstadt betreten hatte, auch für Rory war Bonn schon oft genug die Kulisse für den ein oder anderen Spionage-Roman, wie er amüsiert feststellte.

"Es ist gut, hier zu sein. Ich habe so ziemlich überall in Deutschland gespielt, aber merkwürdigerweise nie in Bonn. Es ist wunderschön, so nah am Fluß zu sein, es ist fantastisch."

Eine kleine Stadt in Deutschland, hast Du das gelesen? Von John Le Carré? Ja (vor langer Zeit), aber da ich den Alltag der Stadt aus musikalischer und politischer Sicht ein wenig kenne, konnte ich Rory in seiner Rolle als Thriller-Experten beruhigen, daß sich die Dinge seit dem Fall der Mauer vom kalten Krieg her etwas ruhiger anließen. - Schon recht bald (nachdem Gallagher einen Anrufer mit der gleichen freundlichen Geduld bedacht hatte wie uns) ging es nur noch um die Musik, zunächst einmal um die kabelfreie Kaminfeuer-Variante.



Unplugged - der akustische Rory Gallagher und seine Wunschgäste

Rory ist mit Sicherheit schon unzählige Male nach seinem geplanten Alkustik-Album gefragt worden, von dem er selbst ja auch bereits lange spricht. Ich fragte ihn, ob er noch immer - gerade im Zeitalter von MTV´s "Unplugged" - Serie, mit dem Gedanken spielt, eine solche Sammlung auf den Markt zu bringen.

Rory: "Das sollte ich wirklich schon in den letzten zwanzig Jahren gemacht haben, aber das Problem war und ist: Einerseits könnte ich es morgen aufnehmen, zehn Country-Blues Nummern, Folk-Nummern, aber ich möchte, daß es ein ganz spezielles Projekt wird. Was mir vorschwebt, ist eine Seite mit Blues und eine mit semi-keltischem irischem Folk, also experimetieller Musik. Ich hoffe - wenn der liebe Gott mich läßt - nächstes Jahr ein elektrisches und ein akustisches Album zu machen, vielleicht wird´s auch ein doppeltes.
Diese "Unplugged"-Idee ist fantastisch, weil sie der akustischen Musik ganz neuen Respekt gebracht hat. Ich bin jedoch nicht sicher, ob ich die Art mag, wie das produziert wird. Ich bin sehr gegen Dolby (Rauschunterdrückung). Ich mag den Sound von NAGRA-Bandmaschinen, die sie für Filme und solche Sachen verwenden, um Stimmen aufzunehmen. das habe ich auf "Irish Tour" gemacht. Für einige Leute hört sich das wahrscheinlich zu hart an, aber ich mag sehr, sehr rauhe Sounds."

Ich flocht ein, daß mit Mikrophonen aus der Welt der Movies auch "Ambiente"-Sounds wie Publikums-Beteiligungen und die Charakteristik des jeweiligen Clubs/Studios besser zur Geltung kommen, aber vorrangig sorgte sich Rory eher um die Tendenz des Fernsehens, den Sound von Live-Darbietungen technisch zu reinigen und in der Höhendynamik zu limitieren.

Rory: "Fernsehen ist ein Problem - sie bauen Limiter rein, weil zu dynamische Musik die Farbqualität des Bildes beinflußt, das ist also ein technisches Problem. Jedenfalls habe ich die feste Absicht, es im nächsten Jahr (1993, die Red.) zu machen (das akustische Album)."

Rory´s semi-keltische Pläne mit irischem Folk brachten mich darauf, daß er ja auch in keltischer Sprache singen könnte, aber da war er eher skeptisch. Als ich seine Gastrolle bei DUBLINERS-Aufnahmen im Sommer 1992 erwähnte, ging er nur zu gerne auf das Thema ein - ich hatte von JIM LEVERTON gehört, daß die irisch-rot vollbärtigen Kampftrinker einen seiner Songs "The Barley And Grape Rag" aufgenommen hatten:

"Ja, wir haben zusammen Aufnahmen gemacht, und ich hab´ noch einen weiteren Song für sie eingespielt. Diese Leute sind so nett. Wenn Du sie anschaust meinst Du, daß es sehr harte Jungs sind, aber sie sind Intellektuelle und sehr pfiffig. Sie waren mal hartgesotten, RONNIE DREW zum Beispiel, der Leadsänger, war in den alten Tagen ein ziemlich ausgeflippter Typ, und er kann´s  immer noch. Er sieht total hart aus, aber dann schickt er mir wiederum diese Tapes und Bücher - diese Freundlichkeit findet man in der Welt des Rock nicht so sehr!
Die Folkies kümmern sich viel intensiver um die Leute. Rocktypen haben so viel Ego und befinden sich auf so vielen Trips, nicht alles natürlich. Folkies stehen nicht so auf den großen Dollar."

Diese Bemerkung erinnerte mich an das dankbare Publikum beim jährlichen FAIRPORT CONVENTION Cropredy Folk Festival; Rory würde da gut hineinpassen und ergänzte: "Ich habe ja eine Einladung, dort zu spielen, und vor drei Jahren sollte ich auch auf dem Cambridge Folk Festival spielen, aber ich mußte wegen Krankheit absagen."

Rory spielte schon auf vielen Platten und Konzerten die Rolle des Stargastes: von den englischen Rythm & Blues-Pionieren CHRIS BARBER und LONIE DONEGAN zu amerikanischen Blues-Legenden wie ALBERT KING und MUDDY WATERS. Ob er sich vorstellen könnte, auf seinem geplanten Akustik- oder Doppel- Album etwa - daß einige Leute, die er schätzt bei seinen Sessions als Gast mitmachen? Also das umgekehrte Verfahren?

Rory: "Das wäre brillant. ich habe ja auch bereits mit JERRY LEE LEWIS gearbeitet, das war großartig. -Ich möchte mit einigen irischen und englischen Musikern arbeiten. Mein Wunschtraum ist, mit MARTIN CARTHY zu spielen, der für mich ein hervorragender Akustikspieler ist, BERT JANSCH und DAVY GRAHAM. Aber man kann nicht mit allen spielen. Und ich fühle mich sehr inspiriert durch BOB DYLAN´s neues Album (das ebenfalls akustische "Good As I Been To You", das kürzlich erschien). Obwohl die Kritiker es nicht mochten, halte ich es für ein fantastisches Projekt. - Ich würde gern mit Bob Dylan arbeiten, das wäre im Moment mein absoluter Höhepunkt. Dieser Song "I Could Have Had Religion", den ich bringe, das ist nicht mein Song. Ich habe ihn neu verfasst, aber es ist ein alter Song. Den hatte er auch auf der Liste für sein akustisches Album. Aber ich würde liebend gern ein Album mit ihm machen und dabei sein MIKE BLOOMFIELD sein, wie auf dem "Highway 61"-Song auf "Blonde On Blonde", es wäre großartig, mit ihm zu spielen, auch mit JOHN HAMMOND, dem New Yorker Blues-Sänger und Gitarristen, und einer Million weiteren Leuten, mit denen ich gerne arbeiten würde."

JEFF LYNNE hatte ja BOB DYLAN einfach angerufen, als er die TRAVELLING WILBURYS starten wollte, also könnte Rory es ja genauso machen, wenn er seine Telefonnummer hätte.

Rory: "Ich habe Bob Dylan kennengelernt, das war ein Glücksfall für mich. Einmal bin ich ihm begegnet, er kam 1976 in Los Angeles zu einer Show, es war das Ende einer Tour und unsere Stimmung war ein wenig im Tief. Es war eine großartige Tournee, aber wir trafen uns eben am Ende. Er kam in die Garderobe und ich brach fast zusammen. Er hatte seine Kinder bei sich und sprach über BLIND BOY FULLER. Es war sehr interessant - Country Blues. Aber da bin ich immer noch ein Schuljunge: Ich verehre die Leute nach wie vor wie Helden, eine schreckliche Angewohnheit für mein Alter, so zu sein. Aber mit DYLAN zu arbeiten, das wär mein Traum. Ich weiß, daß einige Leute in Deutschland ihn nicht so mögen, weil einige seiner Shows gut und andere schlecht sind, aber entweder man respektiert ihn oder nicht, ich tu´s."

Ich stimmte zu, daß DYLAN emotional ist und man das bei seinem Status akzeptieren muß, auch was Unregelmäßigkeiten beim Auftrittsniveau angeht.

Rory: "Weißt Du, er ist nicht ENGELBERT HUMPERDINCK, er bleibt sich treu. Nichts gegen ENGELBERT natürlich, wer weiß, was der so durchmacht?"

Welch ein Zufall, daß Rory gerade ihn erwähnte, denn sein Keyboarder auf dieser Tour, JIM LEVERTON, spielte von 1967 bis 1968 Baß für "THE HUMP", bevor er FAT MATRESS mit dem HENDRIX-Assistenten NOEL REDDING gründete. Aber zu Herrn LEVERTON werden wir noch kommen.


Guitar Man
Rorys gesammelte Klampfen und was er mit ihnen so anstellt

Rory Gallagher wird schon seit ewigen Zeiten mit seiner geliebten, abgewetzten Fender-Stratocaster abgebildet. Die ist noch immer in Gebrauch, aber hat er außer diesem Markenzeichen und seiner weißen Telecaster noch andere elektrische und akustische Gitarren, ist er vielleicht sogar Sammler geworden?

Rory: "Da habe ich über die Jahre viel Glück gehabt. Ich besitze einige Dan Electros, ich habe eine Gibson Junior, eine Gretsch Gitarre und einige akustische. Eigentlich sind das inzwischen eine ganze Reihe von Gitarren, aber ich bin nie auf der Suche nach dem absolut teurem Luxusding oder Sammlerstück. Wenn man in der guten alten Zeit in Amerika zu einem Pfandleiher ging: Da bekam ich eine Fünfzehn-Dollar-Gitarre, eine Silvertone, von Dan Electro, und mit der habe ich "A Million Miles Away" und "Cradle Rock" aufgenommen. Solche Dinger habe ich also früher aufgespürt als andere. Inzwischen ist es anders, jeder ist auf Draht - sie sehen Dich schon kommen: 'Oh, der Typ ist aus Europa, der kann leicht Tausend Dollar bezahlen', so ist das dann."
"Manchmal habe ich echt Glück. Ich bekomme ab und zu von sehr netten Leuten eine Gitarre geschenkt. Übrigens hat mir ein Typ aus Köln, der heute Abend auch hiersein wird, eine Telecaster geschenkt, die er selber zusammengenbaut hat, ich habe sie noch ein wenig justiert. Und die benutze ich auf der Bühne: Ich habe ein Seymour Duncan-Pickup in die Lead-Position montiert und den Humbucker gelassen (auch "Fachblatt" und "Guitar PLayer"-Leser können inzwischen gelassen auf "Good Times" umschwenken!). Es ist eine Art KEITH RICHARDS-Kombination. Also in der Hinsicht schätze ich mich sehr glücklich. Und ich versuche auch selbst, Gitarren zusammenzubauen, wenn sich das ergibt. Das tolle am Fender-System ist, daß man den Korpus von einer Gitarre nehmen kann, die Tonabnehmer von einer weiteren und den Hals wiederum von einer anderen. So bekommt man eine Art "Frankenstein"-Gitarre. Einige von ihnen funktionieren, andere nicht. Aber meine Hauptgitarre ist die Strat, die bringt´s einfach. Sie spricht sehr sensibel und mikrofonartig an. Man kann die Hölle aus ihr heraushauen und sie auch liebkosen. Ich weiß, es ist Fantasie, aber ich betrachte sie als meine Gitarre. Als ich ein kleiner Junge war, Mensch, der Besitz einer Sunburst-farbenen Stratocaster - das war der absolute Traum, und er ist es immer noch!"

Das konnte ich verstehen und bin eigentlich froh, daß das immer noch so ist - schließlich ist es dieses gleichmäßige, langfristige, was die Leute an Rory Gallagher so sehr lieben: Die Dinge ändern sich andauernd mit der Mode. ich wollte aber auch noch wissen, was bei Nummern wie "Empire State Express" (auf dem unterbewerteten letzten regulärem Album "Fresh Evidence") sein favorisiertes Akustik-Modell ist.

Rory: "Das ist eine National Duolian von 1932 (!). Die habe ich aus Amerika und es ist eine ausgezeichnete Gitarre. Ich mußte ein neues Griffbrett draufmontieren, weil es so alt war, daß es sich hier und da gesenkt hatte, und ausserdem eines Nachts auf einem Flug der Resonator eingekracht war. Glücklicherweise hatte ein Typ in Südengland eine Menge Lochblenden aus den Dreissiger Jahren und ersetzte ihn. So benutze ich sie auf "Empire State Express". Das Stück habe ich übrigens in der Schlagzeugkabine aufgenommen, wo normalerweise der Trommler sitzt, und dabei auch die Drum-Mikrofone benutzt, weil sie einen anderen Charakter besitzen. Damit gestaltete ich es so unmittelbar wie möglich."

Das stimmt, dieser intensive Blues hört sich sehr direkt, fast intim an. Laut über eine Anlage gespielt scheint es, als ob Rory neben einem sitzt - er spielt geradezu um den Hörer herum.

Rory: "Als ich die Aufnahme machte, war ich am St. Patrick´s  Day (dem irischen Nationalfeiertag) ganz alleine und hatte alle Songs für "Fresh Evidence" bereits geschrieben Ich nehme dann immer gerne ein Stück von jemand anderem auf, um das Ganze auszubalancieren. So versuchte ich nun, die alte SON HOUSE-Platte zu finden, die ich schon jahrelang besaß. Ich konnte sie in meiner ganzen Sammlung nicht finden, rauf und runter - kreuz und quer - ich konnte sie nicht finden. Zum Glück hatte ich den Text aufgeschrieben und versuchte nun, mich an den Song zu erinnern. Auf diese Weise kam ich zu meinem eigenen Arrangement. Und ein paar Wochen später fand ich dann seine Original-Version, und so sehr daneben war ich übrigens garnicht. Ich brauchte nur zwei Takes, einen für den Sound, und dann der erste richtige Take - und das war´s, damit verliessen wir dann das Studio. Am St. Patrick´s Day kann man nicht den ganzen Tag im Studio bleiben, man muß auch ein bißchen leben."

Rory´s Gitarrenstil auf "Fresh Evidence" hört sich natürlich sattsam bekannt an, wirkt aber gleichzeitig auch noch überraschend frisch. Wie schafft es Rory, seine Einstellung zum Gitarrespiel für sich selbst unter Spannung zu halten? Muß er konzentriert üben, oder hört er sich überall nach neuen Tricks und Ideen um?

"Natürlich höre ich mir dauernd Musik aller Stilrichtungen an, aber momentan versuche ich, von normalen Akkordfolgen wegzukommen - die habe ich aber eigentlich schon immer gemieden. Aber mehr als je zuvor verwende ich jetzt Griffe, die sich noch konventionell anhören, es aber eigentlich nicht sind. Und was bestimmte Spielfiguren angeht, versuche ich ein bestimmtes Tempo zu durchbrechen, da kommt ein irischer Einfluss durch und auch der von Django Reinhardt, der hält sich ja auch nicht an ein striktes Tempo. Das ist mehr eine Jazz-Geschichte, hört sich aber immer noch nach Rock und Blues an, und was Rock angeht, kann ich immer noch hart zur Sache gehen. Ich lasse mich von vielen Musikern inspirieren, aber je älter und unabhängiger man wird, desto mehr wird man durch sich selbst inspiriert, man wird reifer und kann aus sich selbst schöpfen, statt von diesen großartigen Spielern zu profitieren."


Album-Report
Rory über Produkte der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Zunächst zu Rory´s 1978er Album "Photo Finish". Es wurde damals berichtet, daß es nur drei Wochen dauerte, es einzuspielen, für "Fresh Evidence" benötigte er dagegen viele Monate, also wesentlich länger. Glaubt er, daß er nach Tourneen wie dieser wieder zu spontanerer Studioarbeit zurückfindet, spontan und ohne viele Overdubs und Korrekturen?

"Ja, glaube ich schon. Ein komplettes elektrisches Album habe ich fertig geschrieben. Ich war das erste Mal seit vier Jahren in Irland und habe dort einige Songs geschrieben. Und dann haben wir drei Shows in England gespielt und ich habe fünf Nächte fast ganz durchgemacht und ich schrieb - naja, eigentlich sollte ich das nicht selber sagen - jedenfalls schrieb ich eine Menge großartige, starker Songs. Vieles werde ich so aufnehmen wie JOHN LEE HOOKER, werde also meine eigenen Füße als Percussion benutzen, so schwebt mir das vor, und ich werde eine Bariton-Gitarre verwenden. ich habe eine Reihe recht merkwürdiger Songs verfasst und ich hoffe, ich werde damit spontan umgehen. Das hab´ ich ja früher auch geschafft, "Deuce" habe ich in fünfzehn Tagen aufgenommen.
Dann mache ich so alberne Zeiten durch, in denen ich beispielsweise in San Francisco ein komplettes Album aufnehme, und dann sind wir unten im Abmisch-Raum und ich sage: 'Nein, es ist nicht richtig, es haut nicht hin', und wir hatten tausende Dollar dafür ausgegeben. Das ist wirklich eine kapitalistische Art von Geschäft. Wir werfen so ein Album einfach weg und gehen dann zu Dieter Diercks in Köln und nehmen "Photo Finish" in drei Wochen auf, so kann es gehen, wie man sieht."

Es ist interressant, daß Rory ganz von selbst auf die San Francisco-Sessions zu sprechen kommt, denn ich war ohnehin schon neugierig gewesen, warum diese Bänder 1977 nun wirklich ins Archiv gewandert waren. Und außerdem hatte Rory noch ein weiteres Album zur Seite gelegt, "Torch" entstand 1986, also zwischen "Jinx" und "Defender". Vielleicht sah und hörte Rory diese Songs inzwischen weniger ärgerlich - in milderem Licht bzw. Sound sozusagen. Ich fragte mich, und ihn, ob er erwägen würde, diese Bänder wieder auszugraben und die überarbeiteten Master-Versionen zu veröffentlichen. Oder würde er "Torch" und San Francisco am liebsten vergessen?

Rory: "Ungefähr achtzig Prozent des San Francisco-Albums könnten in der einen oder anderen Form herauskommen - neu abgemischt. das Problem war: der Abmisch-Prozess verkomplizierte sich, und einige der Songs hörten sich einfach nicht passend an. Was mit "Torch" passierte, war dagegen noch komplizierter. Obwohl ich das Projekt zu den Akten legte, behielt ich einige Songs und brachte sie in anderen Tonarten und Geschwindigkeiten zusammen mit neuen Stücken. Und daraus wurde dann das Defender-Album, welches für meine Karriere und mein Leben einen Wendepunkt darstelt. Für mich persönlich war das ein ganz spezielles Album."

Für mich ehrlich gesagt auch. Einige der Melodiefolgen, besonders bei "I Ain´t No Saint" verfolgen einen monatelang und ich sagte Rory das auch. Die ganze Athmosphäre ist sehr intensiv, aber nie unbehaglich.
Was die Wieder-Veröffentlichungen angeht, so gibt es seit einiger Zeit eine CD-Box mit Live-Aufnahmen, sie heißt "Road-Box - The Live Collection" (4 CDs mit "Live In Europe", "Irish Tour" und "Stage Struck"). Hat Rory Pläne hinsichtlich einer detaillierten, luxuriösen Retroperspektive, einer Art 5-CD-Sammlung mit seinen Studiosachen? Vielleicht sogar mit den verschollenen Songs, über die wir schon sprachen? Rory listete zunächst momentane und baldigst geplante Alben auf:

Rory: "Ein akustisches Album, ein elektrisches, und dann gibt es jetzt diese Bootleg-Serie, sie heißt "G-Men". Drei offizielle Bootlegs, eine sehr lange Geschichte."

Und für diejenigen, die sie bis jetzt noch nicht kennen und ganz wild auf diese Dokumente sind, hier ist sie noch einmal: Gallagher ist sich natürlich bewußt, daß es die Nachfrage nach Bootlegs immer gab und geben wird. Aber statt zuzulassen, daß die illegale (oder nach den neueren EG-Richtlinien sogar legale) Soundware die Fan-Taschen in Richtung Bootleg ausleert, verfährt Rory nunmehr nach dem FRANK-ZAPPA-Modell, indem er "Bootlegger-Bootlegs" anfertigen läßt, zu einem Preis, der deutlich unter den bisherigen bei Plattenbörsen liegt. (Die erste Box bei Castle Communications enthält Konzerte der Siebziger Jahre - fast vier Stunden Musik).
Was die Möglichkeit einer Studio-Luxus-Box angeht, fuhr Rory fort:

"Vielleicht machen wir nächstes Jahr um diese Zeit eine Retrospektive, und vielleicht nehmen wir einige Tracks aus San Francisco und "Torch", die bisher nicht verwendet wurden. Ich habe ausserdem während der "Tattoo"-Sessions einen LINK WRAY-Song aufgenommen. Ich stöbere also durch alle Reserve-Stücke, die eigentlich perfekt waren. Aber sie wurden weggelassen, weil man ja nur zwanzig Minuten auf jede Seite bekam. Jetzt kriegt man natürlich vierzig Minuten (fast achtzig, Rory) drauf oder so. Wenn ich so in Gedanken zurückhöre - es gibt da noch ein Stück namens "Juke Box Annie", das ist so nach der Art von THE BAND gespielt. Die fallen mir jetzt alle wieder ein und das ist wäre eine gute Idee: eine CD mit allen Outtakes, aber vernünftig abgemischt".

Welches bereits bestehendes Album ist denn nun Rory´s Liebling, welches würde er ohne Skepsis zu einer "Legandary Blues"-Serie beisteuern? Er hatte ja die spezielle Bedeutung von "Defender" schon herausgestellt, meinte aber nun:

"Vielleicht "Against The Grain", aber die beste LP ist auf genaz eigen Art mein Album "Tattoo".


"Follow Me"
Rory und die Bandmusiker seiner Karriere

Rory´s Bruder Donal, seit Urzeiten der Manager des Gitarristen, bekam eine Widmung auf den beiden wiederveröffentlichten Alben (1969-70) des HENDRIX-EXPERIENCE-Ablegers FAT MATRESS mit NOEL REDDING an der Gitarre und Rory´s  momentanem Keyboarder JIM LEVERTON am Baß, Cembalo, Orgel und Gesang. Woher die früher Verbindung zwischen den Gallaghers und Leverton, der ja erst vor wenigen Monaten in die Band einstieg?

Rory: "Als die Alben wiederveröffentlicht wurden, organisierte und ordnete mein Bruder alle rechtlichen Probleme, und FAT MATRESS begleiteten ja auch TASTE auf ihrer einzigen Europa-Tournee. Ich hatte Jim danach jahrelang nicht mehr gesehen. NOEL REDDING sah ich ab und zu, weil er in County Cork in Irland lebt. Jim ist übrigens ein Bassist, aber im Moment macht er für mich auf AL KOOPER, für meine Musik ist er ein sehr guter Tastenmann."

Hier kam nun wieder eine Anspielung auf BOB DYLAN, der in AL KOOPER und MIKE BLOOMFIELD während der Mitte der Sechziger Jahre wertvolle und zuverlässige Multi-Instrumentalisten um sich geschart hatte, besonders während der legendären "Blonde on Blonde"-Aufnahme-Sessions in Nashville 1966. MIKE lebt inzwischen nicht mehr, aber AL hat noch kürzlich wieder für den großen Bob gespielt: Auf dem unterbewerteten All-Star-Album "Under The Red Sky".

"Ich spiele immer noch in der Besetzung Schlagzeug, Baß und Gitarre, und dann habe ich zusätzlich Mundharmonika und Keyboards drin. Und Jim ist ein hervorragender Musiker, er spielt auch gut Gitarre. Ich kannte ihn seit Jahren und stieß auf ihn, weil ich viel mit MITCH MITCHELL (Ex-HENDRIX-Drummer) herumhing."

Rory schätzt LEVERTON´s Vielseitigkeit, besann sich aber kaum auf seine eigenen Fähigkeiten: "Ich spiele ja auch ein paar Instrumente". Mit seiner typischen Bescheidenheit erwähnte er nichtmal, daß er - abgesehen von seinen begnadeten Gitarrenkünsten - ein nicht zu unterschätzender Saxophonist ist, aber schon seit seinem ersten Solo-Album nicht mehr auf Platte geblasen hat.
Die Besetzung der Rory Gallagher-Band war in den Achtziger Jahren äußerst stabil: GERRY MCAVOY war ja ohnehin seit dem ersten Tage, also 1970, in der Gruppe, bevor er kürzlich nach zwei Jahrzehnten noch einmal das Risiko des Wechselns einging, und BRENDAN O´NEILL spielte seit einem Jahrzehnt für Rory. Beide gingen zu DENNIS GREAVES`"NINE BELOW ZERO", eine R&B-Band, in der außerdem Gallagher´s Mundharmonika-Artist MARK FELTHAM im Jahre 1990 gesichtet wurde. Ob Rory wohl bei seiner neuen Band auch dieses Gefühl von Langlebigkeit hat?

Rory: "Bisher bin ich mit allen Abenden, die wir zusammen hatten, total zufrieden. Aber für Vorhersagen bin ich viel zu abergläubisch. Grundsätzlich möchte ich nicht mehr so stark an eine Besetzung gebunden sein. Es engt einfach sehr ein. Es besteht eine Loyalität und dergleichen, jedenfalls werde ich bei Aufnahmen flexibler sein, denke ich. Aber ich meine, wenn die Sache gut läuft, wer weiß?"



Bought And Sold
Rory über die Entwirrung des "Taste"-Falles

Die aktuelle Besetzung hat ebensowenig wie alle anderen seit den frühen Siebzigern nicht auch nur einen einzigen kleinen Song aus dem berühmten TASTE-Repertoire zu bieten. Wir fragten uns nach den Gründen dafür, denn es ist doch seit den TASTE-Tagen eine Menge Wasser die Themse heruntergeflossen.

Rory: "Das ist einfach, weil ich seit dem TASTE-Ende niemals auch nur einen einzigen Song gespielt habe. Das war eine fürchterliche Zeit für mich. Rechtlich habe ich sie gerade erst geordnet. Was die Musiker und mich jetzt angeht - wir bekamen kein Geld. Ich habe nichts bekommen. Und die gesamte Presse schoß sich auf mich ein, als ob ich eine Art Diktator gewesen wäre. Ich schwör´s Dir und ich sage Dir: Das hat mich Jahre gekostet. Nachdem TASTE auseinandergingen, hatte ich Miese, minus, nichts! Ich mußte Geld von meiner Mutter ausleihen, um das erste Album aufzunehmen, und als das dann halb geschafft war, meinte die Plattenfirma: 'Wir unterstützen Dich nicht mehr!' Es war traumatisch!
Kannst Du Dir das vorstellen, wenn die Presse gleichzeitig diesen Eindruck verbreitet? Und in ganz Deutschland schrieben sie das alles! Und ich kämpfte mich da durch. Dann haben wir kürzlich auf der juristischen Seite einen Durchbruch erzielt. Der Manager von TASTE ist inzwischen t.o.t. Gott sei seiner Seele im Himmel gnädig. Ich habe ihm schließlich vergeben. Schließlich hatten wir´s unter Kontrolle und durch drei geteilt, also kann mich keiner mehr angreifen.
Als das nun geklärt war, hatte ich JOHN WILSON am Telefon: 'Bitte lass mich wieder für Dich Schlagzeug spielen, Rory'. Und RICHARD MCCRACKEN - wir müssen uns wieder zusammensetzen. Keine Wiedervereinigung, das ist unmöglich, aber wo das alles aus dem Weg ist, werde ich vielleicht wieder den ein oder anderen TASTE-Song spielen, weil ich ja all diese Songs geschrieben habe. Da gibt´s schon einige gute, aber man kann nicht nur in der Vergangenheit leben."

Diese Ansicht erinnerte mich an JOHN FOGERTY, der sich aus Bitterkeit über CREEDENCE CLEARWATER REVIVAL´s Knebelverträge mit Impressario Saul Zantz lange Jahre geweigert hatte, seine eigenen Hits zu spielen, bevor er einlenkte. (Stattdessen sang er aus Rache "Zantz Can´t Dance" und wurde prompt verklagt!). Auf die Parallelen wies ich Rory hin. Er sah die auch:

"Man kann nicht zwanzig Jahre in Verbitterung über diese Dinge zubringen. Aber es ist einfach unfair, sich einen Typen herauszusuchen und das Selbstvertrauen rauszuhauen. Das ist sehr sehr grausam. Ich habe den Fehler gemacht: Manchmal muß man still sein und nichts sagen, weil man sonst alles verkompliziert. Es ist ja keine große Sache, es handelt sich ja nicht um den dritten Weltkrieg, aber jetzt sind wir uns wieder grün, und das läßt mich relaxen. Eines abends wird es wieder Spass machen, eine Taste-Nummer zu bringen, nur um der alten Zeiten willen."



"Who´s That Coming"
Rory und sein Publikum

Unter den jüngeren Konzertzuschauern sowie Radio- und Plattenhörern scheint eine steigende Tendenz von Hi-Tech-Klängen und handgemachter Musik erkennbar, das klang ja bereits im "Unplugged"-Kapitel an. Kann Rory den erwähnten Trend an jüngerem Publikum bei Gigs ablesen oder werden seine Fans mit ihm "alt"?

Rory: "Oh nein, ich sehe da eine Menge junger Leute. Wir ziehen viele Ex-Punks, New Hippies, Neo-Anti Romantics und alle Sorten bizarrer, schräger Typen an, es ist faszinierend. Das ist mein Traum, weißt Du, das perfekte Publikum: Du blickst auf Leute, die sind sechzig, und Leute von sechs und sechzehn. Es ist ein unmögliches Unterfangen, alle Blueser, Folkies und Rocker zufriedenzustellen - aber ich tue mein bestes.


"Brute Force And Ignorance"
Rory and the Press

Während unseres Interviews machte Rory eine charmante Anspielung auf seinen Aberglauben. So kam mir diese Gewohnheit auch weniger wie eine Besessenheit vor, vielmer erschien sie mir eine symphatische Weigerung, die Zukunft und all das Gute, was sie bringen würde, zu selbstverständlich zu nehmen, als eine Mischung von Sensibilität und Realitätssinn. dagegen wurde Gallagher in einem 1990 geführten Interview des britischen Musik-Magazins "Q" als ziemlich ausgelaugter, gespenstischer Exzentriker portraitiert. Ich wollte schon lange wissen, wie so etwas bei dem ehrlichen, sanft sprechenden und nachdenklichen Musiker ankommt, dessen Ansichten und Einsichten ich während unserer Unterhaltung eher unbeschwert und ohne dramatische Enthüllungspläne genoß.

"Vergiß den Artikel. Verbrenn´ ihn am besten. Totaler Blödsinn! Aus Irland lese ich auch nichts mehr. Jahrelang bekomme ich keine Presseaufmerksamkeit, dabei fahre ich raus und mache all diese Tourneen, und die kommen nie aus ihren Löchern, um einen arbeiten zu sehen. Und dann liefert man eine schlechte Show und sie fangen an mit Sachen wie 'Er ist abergläubisch, er ist dies und das und jenes'. Und dann plötzlich sind alle interessiert, nur weil irgend so ein (Blues-) Revival angesagt ist. Aber ich bin eben nur Musiker. Ich krieche der Presse nicht hinterher, ich mache auch kein Publicity Gags oder sowas. Und so bekomme ich dann ein etwas gespanntes Verhältnis zu denen, und dieses Q-Magazine fand ich sehr unverschämt:
Der Typ erwischte mich genau an dem Tag, als ich "Fresh Evidence" fertig hatte, und ich war wirklich ausgelaugt. Weißt Du, am Ende eines Albums, das ist so ähnlich, als ob man ein Baby bekommt.  Ich muß einen schlechten Eindruck hinterlassen haben, dabei tat ich mein bestes, um ein präziser und angenehmer Gesprächspartner zu sein, und nachher las es sich überhaupt nicht so. Ich hätte es überhaupt nicht machen sollen, aber so ist das Leben." (Der Artikel schlachtete die "Wrack"-Story auch noch in einem etwas aufgedunsenen Portrait aus, das dessen kurzzeitige Cortison-Behandlung verschwieg und wohl Drogen-Schlußfolgerungen des geneigten Publikums billigend in Kauf nahm.)

"Man sollte eigentlich kein Wahnsinns-Drama draus machen - `it´s only Rock´n Roll - oder Blues`. Besonders wenn man einfach nur Gitarrist ist, geht man hinein (ins Studio), spielt seine Parts und sagt 'Okay, misch es ab und schick mir die Cassette'. So wäre ich auch gerne, aber ich schreibe nun mal die Songs und beteilige mich an der Produktion, steigere mich total rein und bin wirklich mit ganzem Herzen bei so einem verdammten Projekt. Das ist gesundheitsschädlich, nur macht man sich das nicht klar. Man hört auf zu essen und ehe man sich´s versieht, gelangt man auf gefährliches Territorium. Insofern ist es eben unfair, wenn jemand solch ein falsches Bild von Dir zeichnet. Clever wäre es natürlich, diese Dinge zu planen, aber das kann ich nicht. Ich bin gegen Planung. Weißt Du, VAN MORRISON sagt mir auch immer 'Rory, Du brauchst eine Zeitplanung, Mann. Du mußt Deine Ferien einplanen und Deine Arbeit'. Ich funktioniere einfach nicht so!"

Wir haben Rory dann schließlich GOOD TIMES Nr. 4 gezeigt (Dezember 1992), eigentlich nur, um ihn feststellen zu lassen, daß wir uns abseits des Tratsches mit der musikalischen Seite der Medaille beschäftigen. Als er das Foto entdeckte, das dieses Interview ankündigte, konnte er sich tatsächlich an den Gig erinnern:

"Das muß einfach London´s Hammersmith Odeon oder das "Rainbow Theatre" in Finsbury Park, 1977 sein - diese alte weiße Telecaster hier (auf der Abbildung) verwende ich immer noch."
Der irische Bluesmann signierte dann bereitwillig zwei Exemplare für uns als Erinnerung, und wir verließen ihn mit dem Gefühl, einem engagierten, geradlinigen und unprätentiösen Musiker begegnet zu sein, der nach dreißig Jahren auf der Bühne und im Studio immer noch mit seiner Musik lebt und bangt..

Rory Gallagher ist sicherlich sensibler, als ihn die Presse darstellte. Aber er erschien mir auch als beachtliche, hartgesottene Kapazität an der Country-Blues und Rock-Blues Front, mit dem man weiterhin rechnen muß. Wie sagte er noch: "I still hit it hard"- "Ich kann immer noch ganz schön hart zur Sache gehen!" Und das zeigt er dann ohne Zweifel beim abendlichen Gig in Bonn.

Es stimmte in der Tat: "Back On My Stompin´Ground" - "Zurück in meinem Jagdrevier!"