Goodtimes: Die Rory Gallagher - Story 1949 - 1995, Teil 2

Entnommen aus der Zeitschrift "Good Times", Ausgabe 5/95,
verfasst von Uli Twelker.

Herzlichen Dank an Peter Seeger und Uli Twelker,
diesen Artikel hier veröffentlichen zu dürfen!



Die Rory Gallagher-Story, Teil 2


Double Vision

"Der Blues ist gesundheitsschädlich - so einfach ist das", hatte Gallagher Anfang der Neunziger der irischen Musikpresse erklärt:
"Jimmy Reed war Epileptiker, Howlin´ Wolf fand sich an einer Nierenmaschine wieder, die meisten der anderen großen Namen waren Alkoholiker. Muddy Waters war einer der wenigen Kerle, die es unter Kontrolle hatten."

Und als Rory mit mir im Winter 1992/93 über seine weiteren Pläne sprach, vergaß er nie, jedem Satz ein zutiefst religiöses "So God Will" anzufügen. Ahnte der sensible irische Musiker, daß er nicht mehr allzu lange zu leben hatte? Oder wurde er mit zunehmender Skepsis gegenüber einer wenig Session-Lockerheit zeigenden, technokratischen Szene nur sentimentaler? Ging es ihm schlechter, als er Fremden anvertrauen mochte?

Rory und sein oft beschützend und abschirmend auftretender Manager-Bruder Donal waren sich gerade wegen ihres ehrlichen, intensiven Engagements für ein Musikerleben "on the road" bewußt über die Gefahr und den Preis, den sie dafür bezahlten. Statt tiefschürfender Chronik pflegten die Gallaghers eine deutliche Sprache: "In den letzten Jahren schickte ich Rory hauptsächlich auf Tour, um ihn von seinem Arzt wegzubekommen", gestand mir Donal Gallagher wenige Tage vor Rorys Tod. "Ich war inzwischen der böse, besserwissende Big Brother: das Vertrauen zu seinem Doc konnte ich einfach nicht erschüttern - und der verschreib Rory, was er gegen seine Schmerzen und Depressionen verlangte..."

"If you´re down, he´ll pick you up, Doctor Robert, take a drink from his special cup, Doctor Robert", so sangen es die Beatles schon 1966, als Rory mit seinem ersten Taste-Trio im Hamburger "Star Club"-Domizil seinen Blues-Rock spielte. Und - Ironie des Schicksals - Rory sang 1975 selbst mit den Worten Bo Carters von seiner dunkleren Zukunft! In "All Around Man" heißt es: "I ain´t no Doctor, I ain´t no Doctor´s son, but I´ll fill your prescription, till the real doctor comes..."

Rorys Musik hat uns letztlich mehr zu interressieren als sein ganz spezieller "Doctor Robert". Nur: dessen Rezepte gaben, wie in zahlreichen irischen und britischen Gazetten berichtet wurde, Rorys Guinnes- und Whiskey- Leber wohl endgültig den Rest, der Anfang `95 eine Transplantation notwendig machte: "an accidental overdose of medication!"


At The Bottom

Und von der Schwächung des Immunsystems, die allgemein für die Akzeptanz eines Fremdorgans herbeigeführt wird, hat sich Rory tragischerweise nicht mehr erholt: er erlag am 14. Juni 1995 einer Lungeninfektion. Bis zuletzt hatte Rory in einem Londoner Hospital jenen Blues-Songs gelauscht, die ihm sein jahrelanger Kumpel und Harpspieler Mark Feltham am Krankenbett vorspielte. Vor der stationären Behandlung hatte Rory von seinem Gesundheitszustand kein großes Aufheben gemacht, sein Thema war und blieb die Musik!

Ob noch viele neue Sounds von Rory zu erwarten gewesen wären? "Ein komplettes elektrisches Album habe ich fertig geschrieben", berichtete er mir im Dezember 1992. Aber zu der Frage nach "new product" fühlte ich mich - angesichts seiner nachlassenden Gesundheit - immer weniger berechtigt: Rory hatte längst mehr von s i c h abgegeben, als man von irgendeinem Performer erwarten darf! Sein Backkatalog ist immens und brilliant, die fünfzehn Jahre bis sechzig hätte er - wie er sich´s immer gewünscht hatte - bequem mit diesem Material touren können:
"Ich würde mir gerne vorstellen, wie ich mit sechzig Jahren bin, wie Muddy (Waters) - und wenn ich Muddy zusehe, hat es nichts mehr mit Alter zu tun - einfach alles auszudrücken. Ich meine, sowas lässt mich erschauern. Wenn ich Leute berühren kann, so wie er mich in dem Alter berührt, dann bin ich glücklich", sagte er der Presse auf der Höhe seines Zenits.
Mit ähnlichem Achselzucken wie Steve Marriott würde ihn weiter sinkende Popularität wohl kaum schockiert haben. Daher war dies von den Zuschauerzahlen her gar nicht so sehr dramatisch - seine letzten Dates zur Jahreswende 1994/95 fanden oft vor tausenden begeisterter Fans statt! Aber bis sechzig sollte Rory eben nicht mehr durchhalten.


Livin´ like A Trucker

Liam Fay vom irischen Musikmagazin "Hot Press" gestand er:
"Ich bin mehr getourt als mir gutgetan hat Das hat mir unglücklicherweise nicht viel Zeit für anderes gelassen Man kann so kein Familienleben entwickeln oder irgendsowas, und es macht alle Beziehungen sehr schwierig. Ein bestimmter Prozentsatz fehlt dir immer vom Leben. Als menschliches Wesen kann man nur ein bestimmtes Maß von sich abgeben!"

Gallagher wirkte denn auch live bei allem Beifall zunehmend fragiler, angestrengter, "lief auf drei Zylindern", wie Jim Leverton, sein Keyboarder der frühen Neunziger (und Ex-Marriott-Mann) liebevoll bemerkte.

Auch Studioarbeiten waren in den letzten Jahren eine Tortur: Ganze zwei Alben hatte Rory in seinem letzten Jahrzehnt abgeliefert, "Defender (`87) und "Fresh Evidence" (`90), auf dem eigenen Capo-Label, nachdem die Major-Labels abgewunken hatten. Im Ergebnis waren seine Nummern erstaunlich einfallsreich, energiegeladen und auf eine "unerhörte Weise" kreativ: Markus Gygax, über Jahrzehnte treuer Fan, Konzertagent und Herausgeber des Rory Gallagher-Fanzines "Deuce", sprach passend von Soli, die "wie gemalt zusammengesetzt waren"!

Nach dem stringenteren Hardrock Marke "Jinx" oder "Top Priority" arbeitete Rory von "Defender" an wieder mit seiner ganzen eindrucksvollen Bandbreite zwischen Country-Blues und jazzigen Riffs, aber eben unter Schmerzen und unter immensem Streß geboren:
"Ich steigere mich total rein und bin wirklich mit meinem ganzen Herzen an so einem verdammten Projekt. Das ist gesundheitsschädlich, nur macht man sich das nicht ganz klar. Man hört auf zu essen, und ehe man sich´s versieht, gelangt man auf gefährliches Territorium. Am Ende eines Albums ist das so ähnlich, als ob man ein Baby bekommt!" (O-Ton Rory Dezember `92).

Inspiriert-friedliche Momente wie das Einspielen des "Empire State Express" 1990 waren eher selten:
"Das Stück habe ich in der Schlagzeug-Kabine aufgenommen, wo normalerweise der Drummer sitzt, und dabei auch die Drum-Mikrophone benutzt, weil sie einen anderen Charakter besitzen. Als ich die Aufnahme machte, war ich am St. Patrick´s Day ganz alleine und versuchte nun, die alte Dan House-Platte zu finden, die ich schon jahrelang besaß. Ich konnte sie in meiner ganzen Sammlung nicht finden, deshalb kam ich zu einem eigenen Arrangement. Ich brauchte nur zwei Tage, einen für den Sound und dann der erste richtige - das war´s: am St. Patrick´s Day kann man nicht die ganze Nacht im Studio bleiben, man muß auch ein bißchen leben!"


Bourbon

Das bißchen Leben zog sich jahrelang augenzwinkernd und ermunternd durch zahlreiche Reportagen über den einst zum weltbesten Gitarristen gewählten Iren: Rory gießt nach. Rory kann feiern. Immer ein frisches Guinnes-Glas, etc. Aber Rory den Exzentriker suchte man immer vergebens. Mein Eindruck einer ungespielten, ungeteilten Aufmerksamkeit wurde von vielen, die ihn kannten, bestätigt. Die Wärme seiner Songs war kein Kalkül. Und wenn er seine Schöpfungen dann auf der Bühne mit dem immer gleichen "Hope you like it" ankündigte, dann nicht aufgrund mangelnder Imagination, sondern weil die Botschaft in seinen Liedern schon enthalten war. In nonchalant up-tempo hingeworfenen Zeilen wie viel mehr Songs wie "Continental Op" zeigten seine Vorliebe für Thriller: "There´s a body in the bay the cops are taking it away. They said this case was closed it only shows you never know".

Neben Songs von Lovern und Loosern konnte er sich wie Chuck Berry an einem "Souped Up Ford" begeistern, oft war er auch einfach Blues-typisch down: "I don´t know where I´m going, I don´t know where I´ve been...", nonchalante Weisheit und Poesie, als man dem sensiblen Kumpel aus Cork allgemein neben seiner Begabung für Melodie und Riffs zugestand.

Spielen mit kindlicher Freude, Gradlinigkeit und unvergeßliche Songs haben Rory eine langlebige internationale Karriere eingebracht, mit herzlicher Heldenverehrung in seiner Heimat Irland, aber auch in England, Europa und - besonders in den Siebzigern - in den Vereinigten Staaten, die der "Corkonian Cowboy" in legendär langen Trecks bereiste und begeisterte. Viele Freunde betonten immer wieder, keine Frau und kein Mann sei dem ewigen Junggesellen Rory wohl jemals so nahe gekommen wie seine geliebten Gitarren, allen voran die gründlich abgeschmirgelte Fender Stratocaster. Geliebt wurde der schüchterne Bühnenbeserker jedoch allseits: mit Treue und Herzlichkeit. Das kam zu seinem allzu frühen Tode mit Vehemenz zum Ausdruck:


For The Last Time

Erschüttert folgten zweitausend Trauergäste Rorys Sarg bei der Beerdigung in Cork, seiner Jugend-Wahlheimat, wo er im November 1993 seinen letzten irischen Gig gespielt hatte: "Unplugged" beim "Arts Festival" im Cork RTC. Irische Radiostationen hatten seit Tagen Gallaghers Songs gespielt und sendeten Grußadressen tieftrauriger Fans: "Going To My Hometown", ein Lieblingslied seiner Cork-Fans, hat noch nie so traurig geklungen.

Bruder Donal Gallagher, Harpist Mark Feltham sowie Ronnie Drew und John Sheehan von den Dubliners trugen Rory, dessen Leichnam aus London eingeflogen worden war. Vorweg schritt Rorys langjähriger Roadie Tom O´Driscoll mit Rorys alter Schmirgel-Fender. Neben seiner Mutter Monica Gallagher und zahlreichen Familienmitgliedern nahmen viele prominente Musiker Abschied von dem geliebten Gitarristen: Gary Moore, Slash, Adam Clayton, und The Edge von U2, B.B.King, Rorys Drummer Brendan O´Neill sowie sein zwanzig Jahre treu neben ihm tobender Bassist Gerry McAvoy. Blues-Opa Muddy Waters (gest. am 30.4.1983) konnte leider nicht mehr dabei sein, wenn auch zahlreiche Gazetten von dem armen Teufel abgeschrieben, der den Mojomann allen Ernstes gesehen haben wollte. Rory und Muddy haben sich sicher inzwischen getroffen.

Zurück zur Beerdigung: zwei weitere Band-Mitglieder, Pianist Lou Martin und der erwähnte Harmonikmann Mark Feltham, spielten bewegende Tributes: "Amazing Grace" und Rorys "A Million Miles Away". Bob Dylan, John Mayall und Jon Bon Jovi sandten Beileidstelegramme. Für Dylan war es die zweite Sendung innerhalb weniger Wochen: Ans Krankenbett hatte Bob dem Mann, dessen Verehrung er seit Jahren respektvoll erwiderte, geschrieben: "Get well soon, with God´s speed, and keep playing!"

Joe Jackson hat Rory Gallagher in seinem Nachruf das größte Kompliment gemacht, das er sich wünschen konnte:
"If we forget Rory Gallagher, we might as well forget Irish Rock!"